Glavitzas Gschichtln – Verlobung am Polarkreis

3. Januar 2021
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Feature

Zur Erholung von den Dreharbeiten zu Steve McQueens Rennfahrer-Epos „Le Mans“ lud mich der Schweizer Filmstar Fred Haltiner für vierzehn Tage aufs Kitzsteinhorn ein, um bei eisigem Wind unsere Seelen von den Streitereien in Le Mans zu entstauben. Nach einem Tag im „g’füh­rigen Schnee, juchee!“ reichte mir am Abend die Concierge des ­Hotels ­einen ­Zettel mit der Nachricht: „Ruf mich an, Herbert.“

Ich nahm die Sache auf die leichte Schulter und rief erst Wochen ­später die hinterlegte Nummer an. Es war Herbert ­Völker, ­damals der begnadetste Automobilschreiber Europas. Herbert war schon immer ein Mann der knappen Worte, und auf meine Frage, warum es ginge, antwortete er sparsam: „Tunturi ­Rallye“. Eine Rallye vom Polarkreis (Rovaniemi) über 1300 ­Kilometer (!) bis zum Eismeer (Kirkenes, Norwegen) und ­wieder retour.

Herberts Fangemeinde reichte schon damals weit über den deutschen Sprachraum bis hinauf in die Polarregion, und dort zählte der VW-Porsche-Shell-Caterpillar-und-vieles-mehr-Generalimporteur und Rallye-Freak Antii Aarnio-Wihuri zu seinen größten Anhängern. Von ihm bekamen wir einen serien­mäßigen VW Käfer mit knappen 1600 Kubik und wahrscheinlich an die vierzig Pferde im luftgekühlten Vierzylinder – im Bild von Herbert Völker (links) und vom Autor flankiert.

Wir waren schon zehn Tage vor dem Rallye-Start in ­Rovaniemi gelandet – bei unvergesslichen minus vierzig ­Eiszapfen. Das ist eine Temperatur, bei der man entweder entsprechend angezogen oder tot ist. Bei mir war es genau die Mitte, und ich eilte deshalb gleich nach der Landung in ein Großkaufhaus nahe unserem Hotel. Ich suchte zwischen Stellagen nach Pelzstiefeln und ähnlich wärmendem Zeug, als meine Körpertemperatur innerhalb von Sekunden in den roten Bereich schnellte: Eine etwa 1,80 Meter große, schlanke Maid mit bis zum Hintern reichenden blondem Haar stand vor mir – und lachte. Ich dürfte einen derart hilflosen Eindruck auf sie gemacht haben, dass sie zu meinem Glück mütterliche Gefühle entwickelte. Irgendwann hatte ich mich dann erfangen und schwadronierte gestenreich von Itavalta (Österreich) und vielleicht auch von der blauen Donau. Sie hieß Marja und verstand mich mit ihren blauen Augen augenblicklich zu lähmen. Die Ver­lobung war in Griffweite.

Nachdem ich ihr beim Einkaufen geholfen und vor allem alles zu ihrem Haus getragen hatte, zog ich bei ihr ein. ­Herbert holte mich jeden Tag gegen elf Uhr ohne Protest ab, schließlich hatte er das Hotelzimmer jetzt für sich allein, und dann ging‘s auf die Piste zum Training. Kritisch wurde es am Abend vor dem Rallyestart. Der Gemeinderat samt Bürger­meister hatte zur Rallye-Party ins Hotel geladen. Die Sache entwickelte sich rasch zu einem munteren Besäufnis. Die ­Honoratioren der Gemeinde sowie die meisten Rallyefahrer krochen gegen Mitternacht volltrunken am Boden herum. ­Meine blonde Maid war für finnische Verhältnisse ­halbzu – ich als militanter Antialkoholiker klar wie ein ­Gebirgssee am steirischen Hochschwab.

Nachdem sich Herbert, knapp bevor die Party ausartete, ins Zimmer verzogen hatte, wollte ich auch los. Ich verabschiedete mich lieb von Marja und wollte schon gehen, als sie nickte, aufstand und mit hinaufwollte. Auf den Einwand, dass mein Freund dort oben schliefe, schüttelte sie nur den Kopf, das wäre kein ­Problem. Mit letzter Kraft gelang es mir, sie zu beruhigen, und ich vertschüsste mich nach einer Weile mit der Ausrede, die Toilette aufzusuchen. Das war natürlich eine Lüge, und ich ­eilte hinauf ins rettende Gemach. Herbert schlief wie ein ­Eisbär – gottlob, ohne zu schnarchen.

Ich war schon im Traumland, als ich plötzlich von Klopf­geräuschen gegen die Tür geweckt wurde. „Eric, Eric, come, ­come – open the door!“ Ich hielt den Atem an und wagte mich nicht zu rühren. Nach etwa zehn Minuten war der Spuk vorbei, und ich zählte wieder liebliche Schäfchen am Himmel. Nach einer Stunde aber gab es am Himmel statt einer Schafherde Blitz und Donner. Marja trommelte mit den Fäusten ­gegen die Tür und forderte barsch Einlass. Ich stellte mich schlafend – hoffte inständig, dass mein Mädel bald ­müde würde. Nach zehn Minuten war sie wieder weg, und ich versuchte, zum dritten Mal einzuschlafen – und dürfte auch ­irgendwann wieder weggetaucht sein.

Doch auf den Glockenschlag einer weiteren Stunde trommelte es wieder, dass ich schon an eine Artillerie-Attacke vor Verdun dachte – diesmal gingen neben Marja auch andere ­Mädel zu Werke. Wahrscheinlich hatte sie rührigerweise an meinen Freund gedacht, er sollte auch am nächtlichen Vergnügen teilhaben. Wie auch immer – Krach, Trommeln, Geschrei und Gelächter hatten an Intensität zugenommen, als ich in der Dunkelheit plötzlich tiefschwarze Umrisse vom Bett auf der gegenüberliegenden Seite wahrnahm – ­Herbert hatte sich aufgerichtet und sagte in die Fins­ternis: „Heast, mit dir is klass’ Rallyefahren – könn’ ma ned die London-Sydney a foahn?“

Foto: Archiv Glavitza