Die Politik bezieht sich in Sachen Klimabilanz von Elektrofahrzeugen grundsätzlich auf den CO2-Ausstoß im Betrieb – der bekanntlich exakt null beträgt. Egal, ob es um Berechnungen des Flottenverbrauchs oder Förderungen aller Art geht, Elektroautos wird immer völlige CO2-Abstinenz zugestanden.
Die Frage, warum es sich Politiker in seltener Einigkeit so leicht machen, ist schwer zu beantworten. Ein Grund könnte es sein, Europa durch Forcieren der Elektromobilität vom Erdöl unabhängig zu machen. Eine solche Vorgangsweise wäre durchaus nachvollziehbar, gäbe es Rohstoffe für die Elektroauto-Akkus (Lithium, Kobalt, Kupfer etc.) und Batterie-Produktionsstätten zahlreich in Europa. Genau das ist aber nicht der Fall. Der diesbezügliche Top-Player heißt China. Dort stehen die größten Batteriewerke und von dort aus hat man weltweit massenhaft Land erworben, wo sich die wertvollen Rohstoffe im großen Maß finden. Angeblich befinden sich rund zwei Drittel der derzeit bekannten Vorkommen unter chinesischer Kontrolle.
Ein anderer Grund könnte in der allgemeinen Verunsicherung begründet sein, die der Diesel-Abgasskandal hervorgerufen hat. Wobei: Dieselmotoren haben ein Problem mit den gesundheitsschädlichen Stickoxiden, aber keines mit dem klimawirksamen CO2. Kohlendioxid wird bei jedem Verbrennungsvorgang freigesetzt und geht daher 1:1 mit dem Verbrauch konform. Der Diesel verbraucht vergleichsweise wenig, daher stößt er auch wenig CO2 aus. Das scheint aber niemanden zu interessieren. Indem sie die Flottenverbräuche immer weiter nach unten korrigieren und die Autohersteller damit zur Produktion von Elektroautos zwingen, wollen Europas Spitzenpolitiker die Klima- und die Abgas-Problematik eventuell gleich in einem Zug vom Tisch wischen.
Und schließlich: der Wirkungsgrad als jener Grund, den Politiker als einzigen laut aussprechen. Dieser bezeichnet, wie viel von der investierten Energie tatsächlich vom Motor umgesetzt wird. Der Wirkungsgrad liegt bei Verbrennungsmotoren zwischen 37 Prozent (Benziner) und maximal 45 Prozent (Diesel), bei Elektromotoren hingegen bei rund 95 Prozent.
Fakt ist, Elektromotoren stoßen keine Abgase wie Kohlenmonoxid (CO), Kohlenwasserstoffe (HC) oder Stickoxide (NOX) aus. Lediglich jene Mengen an Staubpartikeln, die beim Abrieb von Bremsbelägen und Reifen entstehen, betreffen sie ebenfalls. Bremsstaub aufgrund des starken regenerativen Bremsens über den Motor (Rekuperation) allerdings in weitaus geringerem Maß. Auch CO2-Emissionen gibt es am Fahrzeug keine, weil Elektromobilität ohne Verbrennungsvorgänge auskommt. Fairerweise muss man aber nicht nur den Fahrzyklus („Tank to Wheel“), sondern auch die Energieverluste bei der Bereitstellung des Kraftstoffs (“Well to Tank”) und den gesamten Lebenszyklus eines Autos inklusive Wertschöpfungskette betrachten. Also „Cradle to Grave“, inklusive Lieferkette, Produktion, Kraftstoffbereitstellung, Fahrbetrieb und Verwertung.
“Cradle to Grave”
Hier zeigt sich, dass das Elektrofahrzeug mit einem erheblichen CO2-Rucksack in sein Autoleben startet. Der Abbau der Rohstoffe in teils entfernten Winkeln der Erde und die Herstellung der Batterien verschlingen enorm viel Energie. Nimmt man als Basis für die Fahrzeug-Produktion nicht den günstigen österreichischen Strommix (nur 20 Prozent fossile Energie), sondern den weltweiten, der noch zu 80 Prozent via Erdöl, Kohle und Gas erzeugt wird, dann hat ein Elektroauto mit einer rund 40 kWh großen Batterie im Vergleich zu einem Verbrenner ein CO2-Minus von gut zehn Tonnen am Buckel, bevor es den ersten Meter gefahren ist.
Zum Vergleich: Ein 150 PS starker VW Golf 1,5 TSI emittiert laut Norm-Mix 116 Gramm CO2 pro Kilometer. Fährt man 15.000 Kilometer im Jahr, setzt man in dieser Zeit rund 1,75 Tonnen Kohlendioxid frei. Demnach braucht ein e-Golf mit 36-kWh-Batterie fast sechs Jahre, um seinen CO2-Rucksack wieder abzubauen. Die Verwertung der Rohstoffe aus dem verbrauchten Akku, die energieintensiver ist als die Verwertung eines Autos mit Verbrennungsmotor, erst gar nicht eingerechnet. Es wird aber noch schlimmer, denn diese Werte gelten nur, wenn der Ladestrom komplett aus erneuerbarer Energie käme, was weltweit schon gar nicht, aber auch im EU-Mix nicht der Fall ist.
“Well to Tank”
Die Energie, die dafür benötigt wird, bis der Rohstoff – also Strom oder Erdöl – am Fahrzeug ankommt, wird unter dem Ausdruck “Well to Tank” (von der Quelle bis zum Tank) analysiert. Bei Fahrzeugen mit Verbrennungmotor betragen die Energie-Verluste vom Bohrloch bis zur Tankstelle zehn Prozent (Diesel) beziehungsweise 18 Prozent (Benziner), bis der Kraftstoff im Fahrzeug ankommt. Dieser Prozentsatz ergibt sich duch den Energieaufwand des Rohöltransportes, der Raffinierung und des Kraftstoff-Transports zur Tankstelle. Vor allem der Wert des vielgescholtenen Diesel ist dabei besser, weil sein Raffinierungsprozess einfacher ist.
Im Vergleich zum Diesel sieht es beim Strom weniger günstig aus. Günter Fraidl von der AVL hat in seinem Vortrag zum heurigen Wiener Motorensymposium vorgerechnet, dass die Produktion einer Kilowattstunde Strom im Durchschnitt der 28 EU-Staaten 340 Gramm CO2 freisetzt. Was danach meist ignoriert wird, ist die Tatsache der Energieverluste im Stromleitungsnetz. Lädt man eine Kilowattstunde ins Auto, hat sich der Wert schon auf 428 Gramm/kWh erhöht, weil die Speicherungs- und Transportverluste satte 25 Prozent ausmachen. Nimmt man als Verbrauch den Norm-Wert von 14 kWh pro 100 Kilometer für den VW e-Golf an, dann „emittiert“ ein solches Elektroauto, das über den durchschnittlichen EU-Strommix geladen wurde, pro Kilometer 60 Gramm CO2. Addiert man nun die bei der Herstellung der Batterie entstehenden Zusatz-Emissionen, benötigt der e-Golf derzeit nicht knapp sechs Jahre, sondern beinahe die doppelte Zeit, um klimafreundlicher zu werden als der Verbrenner-Golf.
Damit nicht immer nur Autos als die Bösen dastehen, sei nebenbei bemerkt, dass Stromleitungsverluste natürlich alle elektrischen Geräte betreffen. Genauso, wie die Akkuherstellungs-Problematik auch vor Smartphones, Laptops und e-Bikes nicht haltmacht. Dennoch: Wer sich eingesteht, dass Strom nicht ursächlich aus der Steckdose kommt, der muss zugeben, dass die batterieelektrische Mobilität unter den derzeitigen Bedingungen – ungünstiger Strommix, Batterie-Rohstoffe aus China, Afrika, Australien, Chile etc. – viel weniger klimafreundlich ist als erwartet.
Voestalpine-Chef Wolfgang Eder meinte deshalb kürzlich im „trend“, dass sich batterieelektrische Fahrzeuge nach einem kurzen Hype langfristig auf den Kleinwagenbereich und den kleinräumigen Lieferverkehr beschränken werden. Dabei ist Eder definitiv kein Benzin-Saurier, schließlich sponsert die voestalpine die Formel E. Und dem Konzern kann es letztlich auch egal sein, welchen Antrieb Autos mit Leichtbau-Stahlkomponenten aus Österreich besitzen.
Generell fordern immer mehr Wirtschaftskapitäne die politischen Entscheidungsträger auf, über den Tellerrand zu blicken, und das Klimaheil nicht ausschließlich in batterieelektrischen Fahrzeugen zu suchen. Viele Konzernlenker und Techniker im automotiven Bereich sehen die Mobilität der Zukunft nämlich auf drei Säulen gestützt: Batterieelektrik für kleine und kompakte Autos, Brennstoffzellen-Elektroantrieb für Langstrecken-Fahrzeuge und Lkw sowie synthetischen Kraftstoff für Schiffe und Flugzeuge. Brennstoffzellen-Technik und e-Fuels sollten daher von der Politik nicht vernachlässigt, sondern ebenso gefördert werden wie batterieelektrische Autos.